25. Juni 2024

Blockade beim Lärmschutz verhindert Wohnungen

Der Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 4. Juni 2024 thematisiert die Rücknahme der geplanten Lockerungen von Bauvorschriften in lärmigen Gebieten durch den Zürcher Stadtrat. Aufgrund strenger Lärmschutzvorgaben sind etwa 3000 geplante Wohnungen in Zürich blockiert. Obwohl diese Lockerungen die Bauaktivitäten in lauten Gebieten erleichtern sollten, hat der Stadtrat nun beschlossen, die Pläne zurückzuziehen. Grund dafür ist die Befürchtung, dass das Bundesparlament den Lärmschutz zu sehr geschwächt hat. Die Diskussion dreht sich um die sogenannte Lüftungsfensterpraxis, die seit einem Urteil des Bundesgerichts 2016 stark eingeschränkt ist. Drei neue Vorschläge stehen zur Debatte: Der Bundesrat will, dass die Lärmschutzwerte in der Hälfte der Räume einer Wohnung eingehalten werden, der Nationalrat fordert, dass nur ein Fenster pro Wohnung den Grenzwert erfüllen muss, und der Ständerat möchte, dass keine spezifischen Werte eingehalten werden müssen, wenn das Gebäude über eine Komfortlüftung verfügt. Diese Entwicklungen haben potenziell weitreichende Folgen für den Wohnungsbau in Zürich, da ohne Änderungen viele Bauprojekte weiterhin blockiert bleiben. Kritiker sind besorgt, dass dies die dringend benötigte Lösung für die Wohnungsnot in der Stadt verzögert.

Zusammenfassung des NZZ-Artikels „Beim Bauen in lärmigen Gebieten
macht der Stadtrat einen Rückzieher“ Seite 12 vom 4. Juni 2024 von Michael von Ledebur

Eigene Meinung

Allein in der Stadt Zürich ist der Bau hunderter dringend benötigter Wohnungen aufgrund einer verschärften Auslegung der Lärmschutzgesetzgebung durch die Gerichte blockiert. Aktuell diskutieren die eidgenössischen Räte in Bern über die allseits gewünschte Lockerung der gesetzlichen Vorgaben, die unter Einhaltung gewisser Spielregeln den Bau von Wohnungen auch an stärker vom Lärm belasteten Strassen wieder möglich machen würde. So weit so gut. Doch die Verhandlungen in den eidgenössischen Räten sowie die Reaktion aus den grossen Gemeinden (insbesondere Stadt Zürich / Interview Stadtrat Odermatt vom 03.06.2024) sowie die Reaktionen verschiedener Parlamentarier im Artikel der NZZ vom 04.06.2024 sind für Baufachleute sowie fachkundige Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr nachvollziehbar.

Einmal mehr wird nur noch ideologisch diskutiert, werden sachliche Argumente einfach beiseite gewischt und wird unter dem Vorwand, Mieterinnen und Mieter schützen zu wollen argumentiert. Konkret geht es dabei, um die die von bürgerlicher Seite vorgeschlagene Möglichkeit an lärmigen Lagen auch nur zur Strasse hin orientierte Wohnungen bauen zu dürfen, wenn diese über eine Komfortlüftung verfügen. Dies als Ergänzung zur bisherigen Lüftungsfensterpraxis, die politisch unbestritten scheint und früher im Kanton Zürich usus war. Die Komfortlüftung wäre ein seit Jahrzehnten bewährtes probates Mittel Lösungen für den Lärmschutz an speziellen Lagen bereitstellen zu können. Eine solche Lüftung sorgt auch bei geschlossenen Fenstern für einen optimalen Luftwechsel.

Dass diese auf der Hand liegende Lösung nun rein ideologisch abgelehnt wird – und das noch von Fachleuten wie z.B. dem Architekten und Stadtparlamentarier Marco Denoth – erstaunt uns als Fachverband und löst ein Kopfschütteln aus. Dazu folgende fachliche Auslegeordnung:

Die Komfortlüftung wurde seit 1997 in fast 60’000 nach Minergie zertifizierten Gebäuden schweizweit eingebaut – darunter auch in zahlreichen Siedlungen des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Sie bietet von allen Standardlüftungssystemen am meisten Optionen, was Wärmerückgewinnung, Feuchteübertragung und Komfort angeht. Gleichzeitig können die Fenster, wenn nötig zubleiben und damit dringt auch nur wenig Lärm ins Wohnungsinnere. Mit solchen Lüftungssystemen kann energetisch ein besonders nachhaltiger Betrieb gewährleistet werden. Die Aussenluft gelangt über Filter und eine Wärmerückgewinnung (WRG) in den Raum. Dabei wird diese erwärmt oder (im Sommer) gekühlt. Zusammen mit dem sogenannten Geocooling (mit Wärmepumpe und Bodenheizung) kann so nicht nur der winterlichen, sondern auch der sommerliche Wärmeschutz während der Nacht bei hohen Aussentemperaturen sichergestellt werden. Einen solchen Schutz zu gewährleisten wurde die Schweiz kürzlich sogar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgrund der Klage der Klimaseniorinnen verpflichtet. Somit leistet die Komfortlüftung nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz und den Zielen der Energiestrategie 2050. Sie löst für spezielle Standorte sozusagen als Nebenprodukt auch gleich den Schutz gegen Aussenlärm für die Mieterinnen und Mieter. Kommt dazu: Mit dem Einbau einer Komfortlüftung nach Minergie-Standard würden die Investorinnen und Investoren von Wohnbauprojekten sogar über die gesetzlich geforderten Energiestandards hinausgehen.

Auf den Punkt gebracht heisst das: Die Komfortlüftung löst auf einen Schlag nicht nur den Lärmschutz, sondern auch den sommerlichen und winterlichen Wärmeschutz. Damit wäre sie eigentlich eine logische Lösung, welche nun aus rein ideologischen Gründen verhindert werden soll. Wir als Fachverband können daher nur an die Politikerinnen und Politiker aller Seiten appellieren, einer solchen gescheiten Lösung frei von jeder Ideologie den Weg freizumachen und sich für die Komfortlüftung als Lösung an lärmbelasteten Standorten einzusetzen. Dies dürfte auch ganz im Sinne weiter Kreise der Bevölkerung sein, die sich eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt wünscht und kaum Verständnis für eine weitere, kaum begründbare, jahrelange Blockade hätte.

Thomas Wipfler
Präsident der Kammer unabhängiger Bauherrenberater KUB/SVIT